Die digitale Evolution bietet Verlagen neue Chancen – es ist Zeit, sie zu ergreifen

Ein Impulsstatement von Dr. Thomas Hoppe aus Anlass des „Innovationsforums Semantic Media Web – neue Geschäftsmodelle für die Kultur- und Medienbranche“

Berlin, 12.11.2012: Die Musikindustrie machte in den letzten Jahrzehnten eine gravierende Wandlung durch. Durch Internettauschbörsen, MP3 und in der Folge iTunes wurde das gepresste Containerformat „Album“ aufgelöst und in einzelne Musikstücke zerlegt, die, von ihrer physischen Repräsentation befreit, plötzlich elektronisch tausch- und handelbar wurden.

Haupttreiber war hierbei die von der Computerindustrie vorangetriebene technische Entwicklung und nicht die Suche nach neuen Geschäftsmodellen durch die Musikindustrie selber. Musikliebhaber möchten sicherlich nicht alle Alben so in ihre einzelnen Stücke auflösen, wer würde schon eine Symphonie Beethovens oder „Darkside of the Moon“ von Pink Floyd, die in sich Gesamtwerke darstellen, einzeln hören wollen? Für den Großteil der U-Musik jedoch, deren Alben sich durch eine geringe Zahl von bekannten Stücken und viel „Füllmaterial“ auszeichnen, erzeugte diese Entwicklung einen Mehrwert seitens der Konsumenten: sie brauchen nur noch das zu kaufen, was sie wirklich haben wollten. Durch diesen USP wurde das Modell erfolgreich.

Verlage, insbesondere Fachbuchverlage und Zeitungsverlage, stehen vor einer ähnlichen Veränderung bzw. befinden sich bereits darin. Wissenschaftliche Artikel werden von den Autoren zunehmend selber über das Internet veröffentlicht, Zeitungen veröffentlichen ihre Artikel gratis im Internet, SmartPhones, e-Book-Reader und Tablets erlauben es, sich vom gedruckten Werk zu lösen und die aktuellsten Werke zu jeder Zeit an jedem Ort zu lesen. Der Gang in eine Bibliothek oder in einen Buchladen ist durch den Online-Handel nahezu überflüssig geworden.

Im Gegensatz zur Musikindustrie jedoch erahnen die Verlage, dass eine Umwälzung bevorsteht und suchen nach neuen Geschäftsmodellen für Ihre Containerformate „Buch“, Zeitschrift“ und „Zeitung“.

Während meines Studiums musste ich noch teure Fachbücher mit für mich vielen „Füllartikeln“ erstehen, nur um einen oder zwei relevante Publikationen für meine Arbeit dauerhaft zur Verfügung zu haben. Nur wenige Artikel eines Zeitschriftenabonnements sind für den einzelnen Leser wirklich interessant, den Rest liest er meist zum Zeitvertreib. Will ich mich über ein einzelnes Ereignis informieren, kaufe ich keine ganze Zeitung, sondern ich lese online. Ich kaufe ja auch kein ganzes Schwein, nur weil ich mal Appetit auf Schnitzel habe.

Diese „Auflösung“ der Container „Buch“, „Zeitschrift“ und „Zeitung“ ist in vollem Gang, aber immer noch ist unklar, welches Geschäftsmodell damit etabliert werden kann.

Lassen Sie mich diesen Gedanken der „Auflösung“ weiterspinnen. Was wäre, wenn wir einzelne Informationen aus einem Fachartikel extrahieren könnten, wie z. B. die Ableitung/den Beweis einer Formel, eine Grafik, die Daten einer Tabelle, etc. und diese elektronisch weiter verarbeitbar zur Verfügung hätten? Oder wenn wir einzelne Artikel einer Zeitung nicht nur lesbar, sondern gegen eine geringe Gebühr „analysierbar“ zur Verfügung hätten? Bestimmte Marktsegmente wären garantiert gewillt für solche „Weiternutzungen“ zu bezahlen.

Neben seiner ursprünglichen Verwendung zum Lesen stünden die Informationen plötzlich für neue – uns bisher unbekannte – Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung, mit denen sich neue Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Beispielsweise könnten Datenjournalisten mit geeigneten Werktabzeugen „ereignisspezifische Presseclippings“ erzeugen, diese separat vermarkten oder Wissenschaftler könnten unterschiedliche Untersuchungsergebnisse vergleichen und analysieren oder Startups könnten neue kreative Zugänge zu den Informationen schaffen (ein Beispiel ist NewsMap http://www.ontonym.de/…).

Dies setzt jedoch voraus, dass wir diese Einzelinformationen überhaupt finden und automatisch verarbeiten können. Durch die „Verkleinerung“ der Publikationen entstehen interessante Seiteneffekte: die Einzelinformationen werden präziser beschreibbar und besser automatisch analysierbar. Während man heute noch ein Buch maximal einem Themengebiet zuordnen kann oder einen Zeitungsartikel einer generellen Kategorie, können die Einzelinformationen weitaus präziser beschrieben werden, z. B. „Außenhandelsstatistik Venezuelas 2007“, „Beweis der Fermat’schen Vermutung“, etc. Wenn diese Informationen sogar noch um automatisch verarbeitbare Metainformationen erweitert wurden, wird ein Mehrwert geschaffen, der sein Geld wert sein dürfte.

Unser Universum ist in permanentem Wandel begriffen, nichts hat Bestand. Sterne erbrüten die Materie. Sie müssen explodieren, damit sich aus den Atomen des Sternenstaubs neue Sterne und Planeten bilden können. Welches neue Leben sich auf diesem Planeten bildet, zeigt erst die Zukunft. Vor dem nächsten Evolutionsschritt jedoch steht die Auflösung.

Infos zum Autor

Dr. Thomas Hoppe ist Geschäftsführer der Ontonym – Gesellschaft für semantische Webanwendungen mbH, die Dienstleistungen und Produkte rund um die Modellierung von Hintergrundwissen für semantische Webanwendungen auf der Basis des gelebten Sprachgebrauchs von Nutzern, semantische Filter-, Such- und Vergleichstechnologien bietet.

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Über das Innovationsforum

Das Innovationsforum Semantic Media Web ist eine Plattform für den Diskurs über die Bedeutung semantischer Internettechnologien für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in der Verlags- und Medienbranche. Ziel ist die Etablierung eines branchenübergreifenden Netzwerks, das Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Bereich der praktischen Entwicklung und Anwendung überregional mit Partnern verbindet. Vom Aufbau dieser Plattform sollen Entwickler und Anwender aus den genannten Bereichen profitieren. Der Schwerpunkt liegt in der anwenderspezifischen Entwicklung und Implementierung von IT­Komponenten für die semantische Verarbeitung regionaler Medieninhalte für eine internationale Anbindung. Darüber hinaus geht es um die Erschließung der Region für die Nutzung offener Web-3.0-Strukturen (Linked Open Data), den Aufbau von Ontologien für überregionale Wissens- und Anwendungsbereiche und die Förderung überregionaler Kooperationen. Initiiert wurde das Innovationsforum von der Freien Universität Berlin – Arbeitsgruppe Netzbasierte Informationssysteme, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und dem Xinnovations e.V.

Das nächste Statusmeeting des Innovationsforums findet am 4.Dezember 2012 beim Verlag der Tagesspiegel in Berlin statt.

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